“Die Welt kann besser werden, wenn wir uns füreinander einsetzen” – Interview mit Adebayo Okeowo

© Adebayo Okeowo / WITNESS

Filmen als Mittel zur Sensibilisierung: Für WITNESS setzt sich Menschenrechtsverteidiger Adebayo Okeowo dafür ein, Menschen zu befähigen, Videos effektiv einzusetzen, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und zu stoppen.

Sehen. Filmen. Verändern. Das ist das Leitprinzip von Adebayo Okeowo. Er arbeitet als Associate Director of Programs, Regional & Partner Engagement von WITNESS, einer internationalen Menschenrechtsorganisation, die authentisches Videomaterial nutzt, um Menschenrechtsverletzungen und humanitäre Missstände weltweit aufzudecken. In Zeiten, in denen soziale Medien allgegenwärtig sind und jede:r ein Mobiltelefon zur Hand hat, sind Videos heute eines der wichtigsten Mittel zur Sensibilisierung und Aufklärung der Menschen. Sie helfen den Betroffenen, ihre Geschichten zu erzählen und Beweise für Menschenrechtsverletzungen zu sammeln. Als autodidaktischer Fotograf und Filmemacher hat er zudem zwei Preise für Menschenrechtsfotografie gewonnen und Kampagnen organisiert, die sich mit den Rechten gefährdeter Gruppen befassen.

 

Welches Problem löst ihr mit Witness? Warum braucht es dafür genau eure Lösung?

Bei WITNESS helfen wir Aktivist:innen, Video und Technologien zu nutzen, um ihre Menschenrechte zu verteidigen. Seit 1992 arbeiten wir mit Gemeinden und Menschenrechtsverteidiger:innen zusammen, um Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, Gerechtigkeit für die Opfer zu erlangen und die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Angesichts des technologischen Fortschritts, der es leichter macht, die Grenzen zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu verwischen, ist unsere Arbeit noch wichtiger geworden. Denn wir befähigen betroffene Bevölkerungsgruppen dazu, ihre Wahrheit zu verteidigen, indem wir Videos dokumentieren, die einer Desinformationstaktik standhalten.

Was hast du gemacht, bevor du das aktuelle Projekt/Unternehmen gestartet hast?

Ich kam 2019 als Programmmanager für Afrika zu WITNESS und leitete die Umsetzung unserer Projekte in ganz Subsahara-Afrika, darunter Fälle, die sich auf Kriegsverbrechen, Landverteidigung und staatliche Gewalt bezogen. In meiner derzeitigen Rolle als stellvertretender Programmdirektor beaufsichtige ich unsere globale Initiative, die sich auf die Dezentralisierung, Diversifizierung und Demokratisierung des Zugangs zu den Fähigkeiten und Werkzeugen im Umgang mit neuen Verifizierungstechnologien zugunsten von Journalist:innen und Aktivist:innen im globalen Süden konzentriert.

Was oder wer hat dich dazu bewegt, Sozialunternehmer:in zu werden?

Die Saat des sozialen Wandels wurde mir von meinem Vater in die Wiege gelegt. Er war ein Journalist, der nie zögerte, gegen jede Form von Ungerechtigkeit vorzugehen. Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, für das Richtige einzutreten, auch wenn es einen persönlichen Preis hat. So habe ich nach meinem Jurastudium und der Arbeit im Bereich der Menschenrechte in den letzten 15 Jahren nach dem Grundsatz gelebt, dass die Welt besser werden kann, wenn wir uns füreinander einsetzen.

Welche eurer Erfolge sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Ich bin dankbar für die zahlreichen Gelegenheiten, mit einigen der mutigsten Menschen, die ich kenne, zusammenzuarbeiten und sie dabei zu unterstützen, Menschenrechtsverletzungen durch den Staat wirksam zu dokumentieren, um den Opfern von Missbrauch Gerechtigkeit zu verschaffen. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit, die meine Kolleg:innen und ich mit Aktivist:innen in Nigeria während der #EndSARS-Proteste im Jahr 2020 geleistet haben, die es ihnen ermöglichten, Fälle von Grausamkeiten durch Regierungstruppen aufzudecken und nach den grausamen Vorfällen jenes Jahres Rechenschaft zu fordern.

Gab es Momente, die besonders herausfordernd waren und was habt ihr daraus gelernt?

Einer der sehr herausfordernden Momente war die exzessive Desinformationskampagne der nigerianischen Regierung, mit der versucht wurde, die Wahrheit zu unterdrücken. Dies bestätigte, was wir bei WITNESS erkannt haben, nämlich dass wir nicht nur Aktivist:innen an vorderster Front darin schulen müssen, wie sie Gräueltaten effektiv dokumentieren und aufdecken können, sondern sie auch in die Lage versetzen müssen, ihre Wahrheit zu untermauern, indem sie Technologien nutzen, um Videobeweise zu verifizieren und fesselnde Erzählungen zur Verteidigung ihrer Menschenrechte zu präsentieren.

© WITNESS

„Angesichts des technologischen Fortschritts, der es leichter macht, die Grenzen zwischen Wahrheit und Unwahrheit zu verwischen, ist unsere Arbeit noch wichtiger geworden. Denn wir befähigen betroffene Bevölkerungsgruppen dazu, ihre Wahrheit zu verteidigen, indem wir Videos dokumentieren, die einer Desinformationstaktik standhalten.“
— Adebayo Okeowo, stellvertretender Programmdirektor bei WITNESS

Wo soll die Reise in Zukunft hingehen und was sind die nächsten großen Ziele?

Angesichts der allgegenwärtigen Desinformation und der zunehmenden Verbreitung künstlicher Medien ist es unerlässlich, Fähigkeiten wie die Verifizierung und die Open-Source-Recherche zu dezentralisieren, vor allem in den Gemeinschaften des globalen Südens, damit sie ihre eigenen Aussagen und Aufzeichnungen in einer sich schnell verändernden und unbeständigen Informationslandschaft untermauern können. Mein Ziel ist es also, mehr Aktivist:innen und Journalist:innen im globalen Süden dabei zu unterstützen, Verifizierungen vorzunehmen, um ihre Wahrheit zu untermauern.

Welchen Podcast hörst du regelmäßig? Welches Buch ist für dich persönlich ein absolutes Must-read?

Ein Podcast, den ich regelmäßig höre und den ich empfehlen kann, ist HARD FORK, moderiert von Kevin Roose und Casey Newton. Es geht um Entwicklungen in der Welt der Technik. Als Buch empfehle ich Purple Hibiscus von Chimamanda Adichie.

Was sind deine Tipps für den Alltag, um Gutes zu tun? Und wo fällt es dir vielleicht eher schwer, nachhaltig zu leben?

Ein Tipp, den ich teilen möchte, ist in einem Zitat meines verstorbenen Vaters verpackt: „Kleine Taten, die getan werden, sind besser als große Taten, die geplant werden.“ Wenn wir uns das Ausmaß der Probleme in der Welt vor Augen führen, kann uns das manchmal so überwältigen, dass wir das Gefühl haben, wir seien nicht in der Lage, etwas zu bewirken. Aber die Wahrheit ist, dass diese kleinen Taten tatsächlich das Leben eines Menschen verändern, und wenn wir große Veränderungen anstreben, müssen wir damit beginnen, uns täglich um die kleineren Bedürfnisse um uns herum zu kümmern.

Welche Organisation bzw. welches Start-up beeindruckt dich besonders und ist für dich ein wahres Vorbild?

Es gibt so viele, aber im Moment inspiriert mich die Arbeit von Hope Behind Bars Africa, die sich auf die Reform des Strafrechtssystems in Nigeria konzentriert und inhaftierten Personen mehr Würde verleiht. Das ist eine schwierige Aufgabe in einem Land, in dem die vorherrschende soziokulturelle Reaktion auf inhaftierte Menschen in Missachtung und Vernachlässigung besteht. Nichtsdestotrotz geht Hope Behind Bars mit Entschlossenheit und Zähigkeit voran. Dies ist sehr inspirierend.

Ergänze diesen Satz: Die Welt braucht mehr …

… Freundlichkeit.

Gibt es etwas, was du unbedingt noch sagen willst?

Danke für die Gelegenheit, über meine Arbeit und die Dinge, die mich motivieren, zu sprechen.

Wir unterstützten im Januar 2024 Witness. Mehr hierzu erfahrt ihr auf unserer Projektseite: