Kleine Nager ganz groß: Ratten auf der Suche nach Landminen, Krankheitserregern und Verschütteten

Die Organisation Apopo macht sich den hoch entwickelten Geruchssinn der afrikanischen Riesenhamsterratte zunutze. Sie hat die letzten 25 Jahre damit verbracht, diese anhänglichen Nagetiere auf das Aufspüren von zwei der tödlichsten Bedrohungen auf dem Planeten vorzubereiten: Landminen und Tuberkulose. Beide geben einen eigenen, für den Menschen nicht wahrnehmbaren Geruch ab, den die Ratten schnell erschnüffeln können. Schon bald sollen neue Einsatzbereich hinzukommen.

25 Jahre ist es her, dass Bart Weetjens nach einem Dokumentarfilm über Landminen seinem Freund Christophe Cox von einer Idee erzählte. Weetjens, der als Teenager seine eigenen Hausratten darauf trainiert hatte, versteckte Gegenstände zu finden, fragte sich, ob man Ratten darauf trainieren könnte, im Boden versteckte Landminen aufzuspüren. Bei der Suche nach Lösungen stieß er auf eine Veröffentlichung, in der Rennmäuse als Geruchsdetektoren eingesetzt wurden. Mit einem Team von engagierten Mitstreiter:innen stellte Weetjens das Projekt im November 1997 der belgischen Regierung vor und erhielt einen ersten Zuschuss, um die Idee zu testen. So beginnt die Erfolgsstory der belgischen NGO Apopo. Apopo steht für “Antipersoonsmijnen Ontmijnende Productontwikkeling”, deutsch etwa “Entwicklung von Produkten zur Landminenräumung”. Entwickelt wurde eine einzigartige Methode, bei der ausgebildete zahme Ratten schnell und zuverlässig Landminen aufspüren. Heute ist Apopo weltweit führend auf dem Gebiet der Geruchsspürtiere und spielt als Forschungsorganisation bei der Entwicklung neuer humanitärer und umweltbezogener Anwendungen eine wichtige Rolle.

 

Landminen sind nach wie vor eine große Herausforderung

Der Fokus liegt nach wie vor auf der Beseitigung von Landminen, die unbeteiligte Menschen töten und verstümmeln. Die Hälfte aller zivilen Opfer sind Kinder. Das Vorkommen von Landminen behindert die Entwicklung in Post-Konfliktgebieten. Alltägliche Aufgaben, wie das Land sicher zu bewirtschaften und Vieh zu züchten, Kindern ein sicheres Umfeld zu geben und die Familien zu ernähren, werden zu einer großen Herausforderung.

Auch 25 Jahre nach dem Ottawa-Abkommen zum Verbot von Landminen gibt es noch viel zu tun. Bis heute sind in 60 Ländern bis zu 100 Millionen Landminen und andere explosive Kriegsrückstände im Boden vergraben. Die weltweite finanzielle Unterstützung für die Minenräumung ist jedoch rückläufig, so dass ein schnelleres Auffinden der Landminen notwendig ist. Apopo hat sich daher zum Ziel gesetzt, das Tempo der Minenräumung zu beschleunigen. Um dieses Ziel zu erreichen, könnten Spürtiere der Schlüssel sein, da sie schneller, erfolgreicher und günstiger sind als herkömmliche Verfahren oder diese sinnvoll ergänzen.

 

© Apopo

 

HeroRATs nennt Apopo ihre bis zu 45 Zentimeter großen afrikanischen Riesenhamsterratten, gemessen ohne Schwanz wohlgemerkt. Ratten verfügen über einen außergewöhnlich sensiblen Geruchssinn und sind darüber hinaus sehr kluge, lernfähige Tiere. Die Nagetiere werden darauf trainiert, Sprengstoff zu erschnüffeln. Bei der Suche werden sie wie Hunde an Leinen geführt und können Minen finden, die bis zu 20 Zentimeter unter der Erde vergraben sind. Der Clou: Ihr geringes Körpergewicht löst selbst keine Explosion aus. Die Tiere ignorieren Metallschrott und nehmen nur den Geruch von Sprengstoff wahr, das führt zu einer 50-mal höheren Trefferquote gegenüber Metalldetektoren. Erschnüffelt das Tier explosive Stoffe, scharrt es mit den Pfoten in der Erde, um die Minen-Entschärfer darauf aufmerksam zu machen. Bei diesem Zeichen erhält die Ratte seit Tag 1 des Trainings eine Belohnung. Eine gut ausgebildete Ratte kann binnen einer halben Stunde einen Bereich von der Größe eines Tennisplatzes absuchen. Zum Vergleich: Mit einem Metalldetektor würde es vier Tage dauern.

Da die Lebenserwartung der Tiere bei bis zu acht Jahren liegt, lohnt sich die intensive neunmonatige Ausbildung bis zur IMAS-Zulassung (International Mine Action Standards). So ist die Ratte klar im Vorteil, vor allem auch gegenüber traditionellen Minensuchhunden sowie den hochmodernen Technical Survey Dogs (TSD), die seit 2017 ausgebildet werden. Sie lernt schneller, beansprucht weniger Futter und eine größere Anzahl an Tieren lässt sich mit weit weniger Aufwand in die abzusuchenden Gebiete transportieren. Der kombinierte Einsatz von HeroRATs und HeroDOGs sorgt durch ihre komplementären Rollen für eine optimale Effizienz: Ratten eignen sich hervorragend für die Räumung, während Hunde für die technische Überwachung sehr gut geeignet sind. Der vorherige Einsatz von technischen Spürhunden dient dazu, die Minenfreiheit großer Gebiete nachzuweisen und die Grenzen kontaminierter Bereiche genau zu bestimmen.

 

Apopo agiert weltweit mit professionell ausgebildeten Tieren

Aktuell ist Apopo mit 300 Ratten in sieben Ländern aktiv, darunter Kambodscha, Tansania, Angola, Simbabwe und vor allem Mosambik, wo es eine Schlüsselrolle dabei spielte, dass das Land 2015 den Status „minenfrei“ erhielt. In drei weiteren Ländern sind Teams mit Spürhunden, den Detection Dogs und HeroDOGs, im Einsatz: Südsudan, Aserbaidschan und in der Türkei.
Nach Angaben von Landmine Monitor ist Kambodscha eines der am stärksten verminten Länder der Welt mit über 1.000 km² Landfläche, die noch immer mit Landminen verseucht ist. Dies stellt eine große humanitäre und sozioökonomische Herausforderung dar, denn mit über 40.000 Amputierten hat Kambodscha die höchste Pro-Kopf-Quote an Amputationen durch Minen weltweit. Kambodscha will bis 2025 minenfrei sein. Zur Beschleunigung der Arbeiten wird auf eine Mischung aus Geruchsspürtieren gesetzt: 

  • technische Erkundungshunde, um große Gebiete vor der Räumung freizugeben, falls es keine Hinweise auf Landminen gibt 
  • Minensuchratten, um die Minenräumung zu beschleunigen und schließlich 
  • manuelle Minenräumer und Maschinen zur Unterstützung der Tiere

 

© Apopo

 

Apopo arbeitet seit 2014 hauptsächlich mit dem Cambodian Mine Action Center (CMAC) zusammen. Die Teams bestehen aus über 100 Personen, von denen die meisten aus den von Minen betroffenen Gebieten rekrutiert und ausgebildet wurden. Auf diese Weise zielt Apopo auf die am stärksten von Minen betroffenen Dörfer ab, um sicheres, produktives Land an die Gemeinden zurückzugeben – so wird der größte Impact erzielt.

In Angola konzentriert sich der Einsatz der 10 Ratten auf die nordwestlichen Gebiete, die an die Demokratische Republik Kongo grenzen. Seit Oktober 2020 gehört auch die westliche Provinz Cuanza Sul dazu. Trotz der Verpflichtung von Apopo, Angola bei der Erreichung des Ziels zu helfen, bis 2025 minenfrei zu werden, sind die derzeitigen Kapazitäten landesweit deutlich geringer als noch vor einigen Jahren. Sollte das Ziel nicht in weite Ferne rücken, müssen die Kapazitäten für die humanitäre Minenräumung in Angola zeitnah aufgestockt werden. 

 

«In den kleinen Nasen dieser Ratten steckt ein mächtiges und lebensrettendes Alarmsystem. Selbst nach 25 Jahren bin ich immer noch erstaunt darüber, wozu sie fähig sind.» Bart Weetjens, Gründer

 

Mittlerweile haben die Ratten einen zusätzlichen, immens wichtigen Arbeitsplatz: im Labor als medizinisch-technische Assistent:innen in Tansania, Äthiopien und Mosambik. Der hoch entwickelte Geruchssinn der HeroRats findet auch bei der Tuberkulose-Schnellerkennung Anwendung. Die Ratten können Veränderungen im Stoffwechsel erschnüffeln, ausgelöst etwa vom Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Tuberkulose, die nach Covid19 tödlichste Infektionskrankheit der Welt. Unbehandelt sterben zwei Drittel der Patient:innen und können die Krankheit innerhalb eines Jahres auf bis zu 15 andere Menschen übertragen, was einen Teufelskreis auslöst, der nur schwer zu durchbrechen ist. Nach Angaben der WHO wird etwa die Hälfte der Tuberkulosepatient:innen in diesen Ländern „übersehen“. Einige bleiben ungetestet oder werden nicht gemeldet, weil sie aufgrund sozioökonomischer Barrieren keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Apopo arbeitet gemeinsam mit 150 Partnerkliniken innerhalb der staatlichen Gesundheitssysteme daran, diese zunächst übersehenen TB-positiven Patient:innen zu identifizieren. Die HeroRATs überprüfen 100 Abstriche in 20 Minuten. Sie bestätigen TB-positive Proben oder entdecken TB in vermeintlich negativen Proben. Die hohe Geschwindigkeit bei der Untersuchung der Proben, verbunden mit der hohen Trefferquote, toppt jede Labormethode und führt so zu sehr niedrigen Kosten von nur 1 € pro getesteter Probe. So lässt sich die hohe Zahl an potenziellen Neuinfektionen effizient verhindern.

 

© Apopo

 

Tiere als echte Lebensretter

Und es wartet schon der nächste Einsatzbereich für die RescueRATs: Heutzutage sind fachmännisch ausgebildete Such- und Rettungsteams mit ihren Hunden nach einer Naturkatastrophe schnell zur Stelle, um die in eingestürzten Gebäuden eingeschlossenen Opfer zu finden und zu bergen. Doch das Terrain ist schwierig und die Zeit knapp, um Überlebende rechtzeitig zu finden. Hier sollen künftig Helfer-Ratten ins Spiel kommen, deren Größe und Wendigkeit wieder enorme Vorteile hat. Die ersten RescueRATs werden derzeit trainiert, um z.B. Erdbebenopfer in Gebäuden ausfindig zu machen. Sie sind intelligent genug, auch im größten Chaos den Weg zurückzufinden. Was das Scharren als Zeichen von einem Sprengstoff-Fundort ist, lernen die Ratten hier, an einem Ball zu ziehen, der an einer eigens für die Nagetiere entwickelten Weste befestigt ist. Der Ball ist mit einem Mikroschalter verbunden, der einen Piepton abgibt. Die Forscher erhöhen nun die Komplexität der Umgebung, wie Hindernisse und laute Geräusche, um reale Katastrophengebiete besser nachzubilden. Aktuell wird gemeinsam mit der TU Eindhoven ein multifunktionaler Rucksack für die Ratten entwickelt. Dieser soll eine Videokamera, ein Mikrofon und einen Lautsprecher für die Zwei-Wege-Kommunikation mit den eingeschlossenen Opfern sowie ein Gerät zur Verfolgung des Aufenthaltsortes der Ratte ausgestattet sein. Erprobt werden diese mit Spezialeinheiten in der Türkei.

Weitere Einsatzmöglichkeiten sieht Apopo auch im Tierschutz: Die Organisation hat ein Programm zur Ausbildung von Ratten gestartet, um den illegalen Handel mit Wildtieren und Hartholz zu bekämpfen, wobei sie sich besonders auf Schuppentiere konzentriert  – eines der am meisten gehandelten und gefährdeten Tiere der Welt. Apopo ist noch nicht am Ende angelangt. Zurzeit lernen die Ratten auch das Auffinden von Feuerwaffen und Drogen. Sie sollen in Häfen und Bus-Endstationen eingesetzt werden. Auch die Identifizierung von Ölverschmutzung in Böden könnte ein zukünftiger Einsatzbereich sein. Es scheint noch viele  weitere Jobangebote für die HeroRATs zu geben. Und auch andere Tiere stehen in den Startlöchern: Forschende der Universität Wageningen und das Start-up InsectSense haben Bienen darauf trainiert, Corona zu riechen. Erkennen die Bestäuber eine Infektion, strecken sie ihre Zunge heraus. Auf Basis ihrer „BeeSense“-Forschung entwickelt das Labor nun auch eine E-Nase, um Covid-Infektionen zu erkennen.

Wir unterstützen Hero Rats im Dezember 2022 mit den Einnahmen von GOOD. Mehr hierzu erfahrt ihr auf unserer Projektseite:

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Andreas Renner, Co-Founder GOOD: andreas@good-search.org