Einfache Anleitungen, große Wirkung: Wie DIY-Lösungen Menschen aus der Armut befreien
Wir stellen einige Start-ups und Initiativen vor, die Menschen in unterversorgten Regionen erfolgreich dabei unterstützen, einfache Lösungen für alltägliche Herausforderungen selbst umzusetzen. Alle Modelle eint die Hilfe zur Selbsthilfe und der Wissenstransfer.
Wer heute im Internet nach DIY-Anleitungen sucht, wird mit Ideen und Videomaterial überflutet. Bei den meisten Angeboten handelt es sich jedoch um Life-Hacks, die das Leben angenehmer machen. In unterversorgten Regionen steht jedoch die reale Verbesserung der Lebensbedingungen und der Lebensqualität im Mittelpunkt. Das Internet bietet die einmalige Chance, den Zugang zu einfachen Innovationen wie Wasserfiltern, vertikalen Gemüsegärten oder die Herstellung von Hygieneartikel für die relevanten Zielgruppen zu realisieren. Von entscheidender Bedeutung ist daher ein kuratierter Ansatz, dem das Wissen um die Herausforderungen und Möglichkeiten der Bewohner:innen in Armutsgebieten zugrunde liegt.
Wir unterstützen derzeit das wunderbare Startup dooiy – DIY-Lösungen zur Armutsbekämpfung
Genau dies setzt das Berliner Non-Profit Unternehmen Hack your Shack mit seiner App Dooiy in die Praxis um: eine gut recherchierte Auswahl mit einer hohen Erfolgsquote bei der selbständigen Umsetzung. Die Life Hacks von dooiy möchten Menschen befähigen, sich gegenseitig zu helfen. Einfache technische Lösungen können eine Schlüsselrolle spielen, um die Lebenssituation vieler Menschen erheblich zu verbessern.
Gefragt sind Low-Tech-Lösungen, um eine hohe Reichweite zu erzielen. Dies beinhaltet zum einen kompaktes Basiswissen mit Schritt-für-Schritt-Leitfäden, die in einer für Laien verständlichen Sprache bebildert aufbereitet werden. Das Problem für Menschen in unterversorgten Regionen ist: Verstehe ich die Anleitung? Kann ich das Angebot ohne Vorkenntnisse, spezielle Werkzeuge und Geld allein umsetzen? Wichtig ist daher, dass der Prozess ressourcenschonend funktioniert und mit lokalen Ressourcen realisierbar ist, die leicht zu beschaffen sind und bestenfalls nur wenig kosten sollten.
Darüber hinaus dreht sich alles ums Datenvolumen. DIY-Anleitungen per Video via Youtube sind für die Zielgruppe in unterversorgten Gebieten wertlos, da der Datenverbrauch hoch und für die meisten Nutzer:innen mobiler Endgeräte daher unerschwinglich ist, zumal funktionierende Mobilfunknetze kein Standard sind. Außerdem müssen Erklärvideos mehrmals angeschaut werden, um alle Informationen zu erfassen und auch die Weitergabe an Dritte kann nur viral erfolgen. Bebilderte Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die auch abgespeichert werden können, sind daher um Welten besser für deren Nutzung und Verbreitung.
Die kostenfreie dooiy App verbraucht wenig Daten, ist akkuschonend und intuitiv zu bedienen. Bald wird auch die Offline-Nutzung möglich sein, sollen Nutzer mit Leseschwierigkeiten unterstützt und Community-Übersetzungen in vielen Sprachen angeboten werden.
Das beliebteste Produkt ist ein Do-it-Yourself Feuerlöscher
Angefangen hat alles mit dem Feuerlöscher, dem erfolgreichsten und wirksamsten dooiy Hack. Es ist für uns kaum vorstellbar, was ein Feuer auslösen kann. Für die Bewohner:innen informeller Siedlungen stellt dies jedoch die größte Gefahr dar. Kerzen und Petroleum können schnell leicht brennbares Material entzünden, Feuerlöscher sind Mangelware oder überhaupt nicht vorhanden. Das dooiy-Gründer:innen-Team hat erlebt, wie schnell eine Hütte abbrennen kann: in 45 Sekunden. Wasseranschlüsse befinden sich selten “um die Ecke” und sogar wenn diese in angemessener Zeit erreichbar wären, würde es bis zu 10 Minuten dauern, den Eimer zu füllen, sofern die Wasserleitung überhaupt funktioniert. Häufig sind Wasser und Strom auf wenige Stunden am Tag beschränkt und illegale Stromleitungen neben den offenen Kochstellen einer der häufigsten Brandverursacher. Im engen Wegelabyrinth ist es unmöglich, schnell Hilfe zu holen und dadurch kann sich das Feuer leicht in Kürze ausbreiten. An diesem Tag brannten 250 Behausungen nieder und machten 1.200 Bewohner:innen wohnungslos.
Dieses Erlebnis entfachte die Motivation von Marlene Lerch und Christian Fuß, etwas zu ändern, und bald wurde der DIY-Feuerlöscher geboren. Mit ein paar günstigen Haushaltsutensilien wird in einer Flasche ein wirksamer Schaum hergestellt. Bis heute ist die Nachfrage nach den Feuerlöscher-Trainings hoch und macht das Angebot zum dooiy-Bestseller. Da sich die Baukurse vor allem an die Frauen in den Communities richten, gibt ihnen das nicht nur ein neues Sicherheitsgefühl, sondern stärkt auch ihr Selbstwertgefühl – und das liegt nicht allein an dem beeindruckenden Vorführeffekt des Feuerlöschers am Kursende.
Ebenso beliebt ist die selbstgebaute Waschmaschine aus Eimern. Neben eigenen DIY-Lösungen werden vor allem auch aufbereitete Partnerangebote gefeatured, wie beispielsweise die Solarlampen aus PET-Flaschen von Liter of Light und die Seifenherstellung von Viva con Agua. Die App wird flankiert von Workshops und dem Aufbau eines Netzwerks aus Multiplikatoren wie Bildungseinrichtungen, NGOs und Gemeindeorganisationen. Das Selbermachen steht dabei im Vordergrund, denn durch Hilfe zur Selbsthilfe wird oftmals das Umfeld inspiriert und das Erreichen gemeinsamer Lösungen gefördert.
Liter of Light – Solarlampen aus alten Plastikflaschen
Die 2013 auf den Philippinen gegründete globale Basisbewegung Liter of Light hat eine Solarbeleuchtung für Slums entworfen, bei der preiswerte und leicht verfügbare Materialien verwendet werden. So haben Menschen mit begrenztem oder fehlendem Zugang zu Elektrizität eine Tageslichtquelle. Die Idee: eine 1,5 Liter PET-Flasche mit klarem Wasser und einem kleinen Schuss Bleichmittel füllen, letzteres verhindert das Wachstum von Bakterien und Algen. Die Flasche wird dann mit einem Spezialkleber in das Dach eingeklebt und gleichzeitig wasserdicht versiegelt. Das Wasser in der Flasche diffundiert jetzt das Tageslicht und erhellt den Raum, die Leuchtkraft entspricht einer 55 Watt Glühbirne. Mittlerweile entwickeln regionale Chapters einfache Solarlampen, die dank LED Lampen, kleinem Solarpanel und Akku auch nach Sonnenuntergang Licht spenden als Selbstbausätze. Vielfach kommen auch hier die bewährten PET-Flaschen zum Einsatz, etwa als Straßenlaterne.
Heimwerkerlösung EcoBricks – Eine Flasche mit jeder Menge Power
2003 hat Susanne Heisse erstmals in Guatemala Plastikmüll gesammelt und ihn in Plastikflaschen gestopft, bis wirklich nichts mehr rein passte. Das war der Beginn einer weltweiten Bewegung um den sogenannten Ecobrick, eine einfach umsetzbare Lösung. Was kann man mit dünnen Plastiktüten und Folien machen? In eine Flasche stecken! So wird das sonst leichte Material zunehmend fester, bis ein stabiler Baustein entsteht. Laut der Global Ecobricks Alliance ist Ecobrick eine herkömmliche PET-Verpackungsflasche, die mit schwer recycelbaren Kunststoffabfällen kompakt gefüllt ist. Die verwendeten Kunststoffabfälle sollten trocken und sauber sein, um das Wachstum der Mikroorganismen in der Flasche zu vermeiden. Damit lassen sich Möbel bauen oder sie finden erfolgreich Verwendung beim Bau von Häusern und Schulen, obwohl die Blöcke keiner gängigen Sicherheitsnorm entsprechen. Idealerweise geschieht dies für kreisförmige und spiralförmige Bauanwendungen, es lassen sich aber auch Module mit Hilfe von Silikon zusammenfügen. Aktuell wird die Vision “Project Wings: Das größte Recyclingdorf der Welt” am Rande des indonesischen Regenwaldes umgesetzt. Dort entsteht ein Bildungs- und Aufklärungsort für Kinder und Erwachsene, um auf das Müllproblem aufmerksam zu machen.
Low-Tech-Lab – Kollektive Intelligenz zur Verbreitung nützlicher Innovationen
Weltweit entwickeln Menschen mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln Innovationen und Lösungen, um zentrale Probleme ihres Alltags zu lösen und so ihren Lebensstandard zu erhöhen. Dabei werden häufig einfache und oft traditionelle Technologien angepasst. Diese Low-Technologien erfordern im Gegensatz zu Hightech kein spezielles Know-how und nur sehr geringe finanzielle Mittel. In einer Open Source-Datenbank werden bereits existierende und bewährte Lösungen gesammelt und dokumentiert und neue Konzepte entwickelt. Die Tutorials und Anleitungen ermöglichen es, Menschen in den unterschiedlichsten Bereichen und Regionen wertvolles Know-how, Instrumente und Lösungen zur Verfügung zu stellen, die sie selbst produzieren sowie einfach warten und reparieren können. Ein klassisches Beispiel: Kleinbauer:innen verkaufen einen Teil ihrer Ernte auf regionalen Märkten. Um eine längere Haltbarkeit zu gewährleisten, müssen die Produkte gekühlt werden, doch Geld und Energieversorgung sind Mangelware. Hier kann ein nicht-elektrischer Tontopf-Kühlschrank, der traditionelle arabische “Zeer Pot”, Abhilfe schaffen, denn er arbeitet auf Basis von Verdunstungskühlung und wird seit Jahrhunderten genutzt.
MEHR ZUM PROJEKT
dooiy
Wir unterstützen dooiy im Juni 2023 mit den Einnahmen von GOOD. Mehr dazu erfahrt ihr auf unserer Projektseite:
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Andreas Renner, Co-Founder GOOD: andreas@good-search.org