„Wer gründet, startet einen Marathon, in dem man mit Herzblut Spaß und Erfüllung findet“ – INTERVIEW

© GOY / Innatura

Jährlich wandern enorme Mengen fabrikneuer Ware ohne triftigen Grund auf den Müll. Innatura-Gründerin Dr. Juliane Kronen vermittelt diese einwandfreien Produkte an gemeinnützige Organisationen.

Funkelnagelneu und dennoch reif für die Tonne? Jährlich landen enorme Mengen an fabrikneuen Produkten und Waren direkt im Müll. Die Gründe sind häufig recht banal. Das Design wurde geändert, das Etikett ist fehlerhaft oder es wurde einfach zu viel produziert. Dr. Juliane Kronen will dies ändern: Ihre Organisation innatura vermittelt die Produkte, die von den Unternehmen ansonsten entsorgt werden würden, an soziale Organisationen. Im Interview erfahrt ihr, wie 200.000 Flaschen Shampoo die Geschäftsidee ins Rollen gebracht haben.

 

Welches Problem löst ihr mit innatura? Warum braucht es dafür genau eure Lösung?

innatura schlägt die Brücke zwischen Unternehmen, die fabrikneue Produkte, die nicht mehr für den Markt bestimmt sind, spenden wollen, und gemeinnützigen Organisationen, die diese Produkte für den eigenen Betrieb oder die Versorgung der ihnen anvertrauten Personen benötigen. Wir adressieren also die Themen Überfluss und soziale Teilhabe und schaffen gleichzeitig ökologischen und ökonomischen Nutzen.

Was hast du gemacht, bevor du das aktuelle Projekt/Unternehmen gestartet hast?

Vor der Gründung war ich 16 Jahre bei der Boston Consulting Group tätig, zuletzt als Partnerin, mit dem Schwerpunkt Verzahnung von IT- mit der Unternehmensstrategie. Zuhause hatten wir ein mittelständisches Fuhrunternehmen – meine Erfahrungen dort sind für innatura genauso wertvoll wie meine Beratungszeit.

Was oder wer hat dich dazu bewegt, Sozialunternehmer:in zu werden?

2009 rief mich ein Bekannter an: „Du arbeitest doch auch mit gemeinnützigen Organisationen. Wir haben 200.000 Flaschen fehl-etikettiertes Shampoo, spenden wir gerne, wenn es morgen vom Hof ist und Du garantierst, dass es nicht auf dem Schwarzmarkt landet“. Keine Organisation wollte zwei LKWs Shampoo haben, wir haben bei BCG ein Lösungsmodell gesucht, und wir haben In Kind Direct in Großbritannien entdeckt. Ich konnte das Problem und die Lösung nicht einfach ignorieren und bin dann „gesprungen“.

Welche eurer Erfolge sind dir besonders in Erinnerung geblieben?

Wir konnten als deutsches Mitglied des In Kind Direct International Network direkt mit dem damaligen Prince of Wales als Schirmherrn starten – und das ist er heute noch. Den ersten Spendervertrag haben wir 2013 mit Beiersdorf unterschrieben, unserem größten Spender. Besonders gerne erinnern wir uns an Produkte, bei denen wir kreativ aus einem Entsorgungsproblem eine Problemlösung gemacht haben. 2019 haben wir den Break-even erreicht und den ZEIT WISSEN-Preis „Mut zur Nachhaltigkeit“ gewonnen.

Gab es Momente, die besonders herausfordernd waren und was habt ihr daraus gelernt?

Wir haben als gemeinnütziges Sozialunternehmen zu Beginn keine externe Finanzierung erhalten, später kam BonVenture dazu. Wir mussten organisches Wachstum von 25 % im Jahr managen. Wir müssen sowohl Spender als auch Empfänger immer wieder überzeugen, dass unser Modell zwar neu, aber hochwirksam ist. Innovation ist gut, will aber auch immer wieder vermittelt und umgesetzt sein. Aber das ganze Team war immer durch unsere enorme Wirkung motiviert. Fazit: Wissen, was man tut, und dann durchhalten.

© Paul Burns

„Durch mein Engagement für innatura arbeite ich jeden Tag für eine systemische Lösung, die großen sozialen und ökologischen Nutzen stiftet.“
— Dr. Juliane Kronen, Mitgründerin und Geschäftsführerin von innatura

Wo soll die Reise in Zukunft hingehen und was sind die nächsten großen Ziele?

Unser Anspruch ist es, dass die Zusammenarbeit mit innatura ein selbstverständlicher Bestandteil guten Wirtschaftens wird – bei Spendern wie Empfängern. Wir wollen weiter stark wachsen, denn Wachstum von innatura ist schließlich ein gutes Wachstum – dann werden noch mehr Produkte, die eigentlich entsorgt werden sollten, in den sozialen Sektor umgelenkt. Wichtiger Meilenstein dazu ist die Umsetzung des Koalitionsversprechens zum Abbau steuerlicher Hürden für Sachspenden.

Was hättest du gerne gewusst, bevor ihr euer Projekt/Unternehmen gestartet habt? Welchen Rat würdest du anderen mit auf den Weg geben?

Ich wäre gerne gewarnt worden vor der Diskrepanz zwischen der eigenen Überzeugung von der Geschäftsidee und der Tatsache, dass Innovation immer erklärungsbedürftig ist und „die Welt nicht darauf gewartet hat“. Innovationen umsetzen heißt auch immer Hindernisse überwinden (Finanzierung, Verwaltungsakte… ). Mein Rat: Wer gründet, startet einen Marathon, in dem man mit Herzblut Spaß und Erfüllung findet. Das gilt ganz besonders für soziale Innovationen.

Welchen Podcast hörst du regelmäßig? Welches Buch ist für dich persönlich ein absolutes Must-read?

OK, America?; „Sicherheitshalber“; aktuell: Michael Sandel „The Tyranny of Merit“; Klassik: Ilias & Odyssee.

Was sind deine Tipps für den Alltag, um Gutes zu tun? Und wo fällt es dir vielleicht eher schwer, nachhaltig zu leben?

Durch mein Engagement für innatura arbeite ich jeden Tag für eine systemische Lösung, die großen sozialen und ökologischen Nutzen stiftet. Privat das Übliche: (E-)Bike statt Auto, bio oder mindestens regional einkaufen, gute, langlebige Kleidung tragen, Verpackungen reduzieren. Am schwersten fällt mir der Verzicht auf häufige Fernreisen (zu den alternativen Nobelpreisträgern, die ich durch ehrenamtliche Arbeit in der Right Livelihood Stiftung unterstütze, aber auch im Urlaub).

Welche Organisation bzw. welches Start-up beeindruckt dich besonders und ist für dich ein wahres Vorbild?

Sozialunternehmen: „Discovering hands“, das von Dr. Frank Hoffmann gegründete Sozialunternehmen, das sehbehinderte Frauen zu medizinisch-taktilen Untersucher:innen ausbildet, die so die Brustkrebsvorsorge verbessern und eine eigene Lebensgrundlage schaffen können. Ähnlich wie innatura transformiert „Discovering hands“ eine Einschränkung/Problem durch eine Innovation in eine Lösung. Stiftungen: Right Livelihood Award Stiftelsen, Stockholm (Alternativer Nobelpreis).

Ergänze diesen Satz: Die Welt braucht (mehr …)

Verständnis … dass jede(r) zur Veränderung beitragen kann und Verantwortung übernehmen muss; … dass wir nicht so weitermachen können wie bisher und alle in einem Boot sitzen.

Gibt es etwas, was du unbedingt noch sagen willst?

Jede gemeinnützige/steuerbefreite Organisation kann sich kostenlos bei innatura registrieren und Produkte beziehen. Die Wirkung, die innatura bislang erzielt hat, in Zahlen: Es konnten bisher über 8.000 Tonnen Abfall vermieden werden – das entspricht über 270 Sattelschleppern.  Es wurden bereits 35 Mio. € (Marktpreis minus Vermittlungsgebühren) Einsparungen für den sozialen Sektor erzielt, die zur Absicherung oder Ausweitung sozialer Arbeit verwendet werden können. 2 Millionen Menschen werden von unseren Empfängerorganisationen regelmäßig erreicht.

 

Wir unterstützten innatura im September 2023 mit den Einnahmen von GOOD. Mehr hierzu erfahrt ihr auf unserer Projektseite: