Die Corona-Krise als Chance für eine grüne und soziale Wirtschaft nutzen? Diese 3 Initiativen geben wertvolle Impulse

© Unsplash / Tetbirt Salim

Es lohnt der Blick über den Tellerrand. Diese drei Initiativen aus Nigeria, den USA und Großbritannien können die Diskussion um eine Transformation der Wirtschaft nach COVID-19 bereichern. 

Green Recovery. Und wo bleibt das „social“?

Die Corona-Krise bringt viele von uns zum Nachdenken. In was für einer Welt wollen wir eigentlich leben? Die Wirtschaft ist gecrasht – wollen wir sie jetzt genau so wieder aufbauen? Oder vielleicht machen wir es diesmal ein bisschen anders?

Im Mittelpunkt der aktuellen Diskussion um die geplanten Billionen schweren Pakete für die Unterstützung der Wirtschaft in Europa steht dabei eine „green recovery“ – die Stärkung „grüner“ Wirtschaftszweige gepaart mit ambitionierten Klimaschutzzielen. Bemerkenswert ist, dass viele der großen Konzernlenker sich hierzu öffentlich bekennen. Im Vorfeld der Petersbergers Klimadialogs Ende April hatten 68 Unternehmen in einem gemeinsamen Aufruf an die Politik sich für eine ambitionierte Klimapoliitk ausgesprochen; ganz ähnlich der Vorstoß von über 90 Unternehmen in Frankreich, die in einem Brief an die Zeitung  LeMonde eine ökologische Transformation der Wirtschaft einfordern. Neben Unternehmen wie Danone, die bereits viele sozial-ökologische Initiativen angestoßen haben oder Versicherern wie Generali oder Allianz, die einen überproportional hohen Anteil der Kosten einer verfehlten Politik irgendwann tragen müssen, sind überraschend viele Unternehmen mit dabei, für die eine ambitionierte Klimapolitik eine große Herausforderung darstellt, so etwa HeidelbergCement, Thyssenkrupp oder der französische Energieriese Total. Es scheint sich wirklich etwas zu bewegen.

Die Diskussion zu „green recovery“ ist gut, aber aus unserer Sicht stark verkürzt. Sie übersieht die enormen Chancen für die Politik, die mit viel weniger großen Summen genutzt werden könnten als die, die in grüne Technologien oder Elektromobilität fließen werden.

 

Wir brauchen die Ideenvielfalt der jüngeren Generation

Unsere Forderung: Lasst die jüngere Generation ran, die Geschäftsmodelle der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen! Was wir brauchen, ist Empowerment für Menschen, die mit frischen Ideen Initiative ergreifen und eine Vielfalt wirkungsorientierter Geschäftsmodelle entwickeln. Entrepreneurship als Bildungsinhalt an Schulen könnte ein wichtiges Element sein, die Förderung von Social Entrepreneurship-Geschäftsmodellen, die mitunter weniger profitabel sind, dafür aber ganz gezielt ein soziales oder gesellschaftliches Problem lösen, das sonst nicht gelöst oder über öffentliche Gelder finanziert würde, könnte ein zweites Element sein. Ein durch die Politik verordneter, vielleicht gar auf Clean Tech und Elektromobilität verengter „green recovery“ wäre eine verpasst Chance und würde die Vielfalt der 17 Global Goals, der UN Nachhaltigkeitsziele verkennen.

«Lasst die jüngere Generation ran, die Geschäftsmodelle der Zukunft zu entwickeln und umzusetzen! Was wir brauchen, ist Empowerment für Menschen, die mit frischen Ideen Initiative ergreifen und eine Vielfalt wirkungsorientierter Geschäftsmodelle entwickeln.»

Es gibt genügend Studien, die zeigen, dass die jüngeren Generationen Jobs mit Sinn suchen bzw. Produkte und Dienstleistungen nachfragen, die im Einklang mit ihren Werten stehen. Die Politik sollte auf die jüngere Generation vertrauen und einen Raum schaffen, in dem neue Konzepte und Ideen sich entwickeln können. Der unter anderem vom Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND) initiierte digitale Beteiligungsprozess WirVsVirus hat eindrücklich gezeigt, wie agil und leistungsstark der Social Entrepreneurship-Sektor in Deutschland ist. 28.361 Menschen engagierten sich im März mit Beiträgen zur Überwindung der Corona-Krise. Innerhalb von Tagen wurden über 1.500 Lösungen entwickelt, von denen zurzeit 130 zu konkreten Produkten und Geschäftsmodellen aktuell weiterentwickelt werden.

Wir haben den Blick über den Tellerrand gewagt und drei Initiativen identifiziert, die aus unserer Sicht die Diskussion um eine „green + social“ Recovery befruchten können. Entstanden sind diese einmal in Nigeria, in den USA sowie in England. Ihre Wirkung geht jedoch weit darüber hinaus.

Eine gewaltige Welle junger Startup-Gründungen anstoßen – Tony Elumelu

Tony Elumelu ist erfolgreicher Unternehmer aus Nigeria, hat mehrere Banken gekauft und umgebaut und dabei ein gewaltiges Vermögen angehäuft. Was er damit macht? Er unterstützt über seine 2010 gegründete Stiftung jedes Jahr 1.000 Startup-Gründer*innen in Afrika mit 10.000 Dollar – über 10 Jahre. Macht 100 Millionen Dollar. Die Unterstützung erfolgt hälftig aus Mentoring-Leistungen und Startup-Kapital in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschuss in Höhe von 5.000 Dollar. 

Das 2014 gestartete TEF – Tony Elumelu Foundation Entrepreneurship Programm dürfte die weltweit größte privat finanzierte Startup-Initiative sein. Tony Elumelu ist seinem Plan sogar voraus. Nach sechs Jahren hat er bereits 9.172 afrikanische Start-ups aus 54 afrikanischen Ländern unterstützt, ausgewählt aus über 300.000 Bewerbungen. Das riesige Interesse an seinem Programm zeigt, dass innovative Ideen von afrikanischen Entrepreneurs nur so sprießen und das Netzwerk riesiges Potenzial hat, noch weiter zu wachsen. Durch Partnerschaften mit afrikanischen Unternehmen gelingt es der Foundation, die Unterstützung für Entrepreneurs sogar noch auszuweiten, etwa über die Vermittlung von Anschlussfinanzierungen. Tony Elumelu erwartet über seine Initiative zusätzliche 10 Milliarden Einnahmen für die afrikanische Wirtschaft und eine Million neue Jobs.

«Wir setzen uns für das Unternehmertum als Schlüssel zur Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas ein» Tony Elumelu, Gründer TEF

Während politische Vorstöße für eine nachhaltige Transformation der Wirtschaft – gleich ob bei uns oder in Afrika – in der Bürokratie oder im Parteienstreit versacken, zieht Elumelu das mit seinem eigenen Geld finanzierte Projekt unbeirrt durch, auch wenn COVID-19 jetzt doch eine Unterbrechung erzwungen hat. 

Dabei spielen digitale Tools eine zunehmend bedeutende Rolle. Mit TEF Connect, einer digitalen Plattform mit bereits mehr als 800.000 Nutzern, hat Elumelu eine leistungsstarke Vernetzungsplattform für afrikanische Unternehmer gegründet. In einem 12 Wochen Programm mit E-Learning Kursen, Coaching von Mentoren und Meet-Ups werden Gründer in Ihren Unternehmen gestärkt und gegenseitig inspiriert. Ein jährliches Forum bringt die wichtigsten Entscheidungsträger der afrikanischer Wirtschaft sowie globale und afrikanische Entrepreneurs zusammen. 

Elumelu ist überzeugt: Eine Gründer-Welle stärkt nicht nur das Einkommen und die Jobmärkte, sondern leistet einen Beitrag zu vielen weiteren Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (SDGs). Startups, die keine gesellschaftlich relevanten Probleme lösen, haben es zunehmend schwer. Wie agil die Startup-Szene in Afrika ist, zeigt ein Blick auf die geförderten Startups. Nicht wenige der geförderten Startups stellen sich den neuen,  durch COVID-19 entstandenen, Herausforderungen.

So zum Beispiel das Unternehmen von Mohammed Akamera in Sierra Leone. Um die Verbreitung des Virus durch das Anfassen von Wasserhähnen zu stoppen, erfand er einen Wasserhahn, der mit dem Fuß schaltbar ist. Der Hahn wird mit lokal verfügbaren und wiederverwertbaren Materialien hergestellt und wird unterstützt durch die Regierung Sierra Leones nun in Gemeinden, Wohnungen, Büros, Geschäftslokalen, Märkten und Schulen eingeführt.

 

Entrepreneurship als Bildungsinhalt in den Schulen verankern – NFTE

Tony Elumelus Stiftung unterstützt mehrheitlich junge Gründer – allein schon wegen des jungen Durchschnittsalters der Bevölkerung. Die Non-Profit Organisation NFTE – Network For Teaching Entrepreneurship geht hier noch einen deutlichen Schritt weiter und richtet sich an Jugendliche im Alter von 13 bis 18 Jahren.

Ihre Überzeugung: Wir brauchen ein entrepreneurial Mindset und ein tiefgründiges Verständnis dessen, was Unternehmertum für die Gesellschaft leisten kann, damit die heranwachsende Generation die sich stellenden Probleme lösen kann – ob Klimaschutz, finanzielle Absicherung oder eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft. 

Ganz nach diesem Motto engagiert sich NFTE bereits seit 1987 für die Integration von Entrepreneurship als Bildungsinhalt in den Schulen. Zunächst in den USA, und später international. NFTE ist in 15 Ländern aktiv, seit 2004 auch in Deutschland. Insgesamt wurden 1,1 Millionen Schüler*innen begleitet, davon 27.900 in Deutschland.

«Die Vermittlung von Unternehmergeist verändert die Denkweise, verändert das Leben, verändert die Welt. Wir müssen junge Menschen mit dem Blick eines Innovators und dem Mumm eines Gründers ausstatten – den Fähigkeiten, sich in einer innovativen Wirtschaft auszuzeichnen.» NFTE

Das Ziel des mit dem phineo „Wirkt!“-Siegel ausgezeichneten NFTE Deutschland Vereins ist die Stärkung von Selbstvertrauen, Eigeninitiative, und unternehmerisches Denken und Handeln bei Jugendlichen, insbesondere auch bei Schüler*innen mit eher schlechten Startchancen, die durch das NFTE Programm in der Persönlichkeit gestärkt werden und so besser gewappnet sind, um ihre soziale Benachteiligung zu überwinden. 

NFTE USA entwickelte 8 Module, in denen die Schüler lernen, wie ein Entrepeneur zu denken und in denen sie eine eigene Geschäftsidee für ein Produkt oder eine Dienstleistung. Die Kurse finden teilweise online und teilweise in den Schulen statt. Die Krönung ist der lokale und dann nationale Wettbewerb, bei dem die Schüler ihre Projekte in Präsentationen vorstellen. Die Gewinner bekommen Startkapital, welches sie entweder in die Implementierung des Business-Projekts stecken können, oder für ihre weiterführende Bildung nutzen können. Das deutsche NFTE hat das Programm so übernommen, und veranstaltet gemeinsam mit den europäischen NFTE-Organisationen einen jährlichen europäischen Wettbewerb. In Europa gibt es das Youthstart Netzwerk, das die europäischen nationalen NFTE Organisationen und weitere Entrepreneurship-Initiativen vereint.

In einem dreitägigen Training für Lehrer können diese sich von NFTE zum Certified Entrepreneurship Teacher auszeichnen, der mit den Schülern das NFTE-Kursmaterial durchführt. Weitere Vertiefungskurse sind möglich. In Deutschland arbeitet der Verein mit mehr als 800 Schulen und begleitet dabei ca 2.200 Lehrer. Angesichts der ca 750.000 beschäftigen Lehrer in Deutschland ist da noch viel Luft nach oben.

Die Dachorganisation hat mit ihrem Programm „World Series of Innovation“ zudem eine Serie von Online Challenges für Schüler entwickelt, bei dem es darum geht, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die gezielt einen Beitrag zu den 17 UN Nachhaltigkeitszielen leisten. Das digitale Programm wird teilweise durch Firmenpartnerschaften getragen, die eigene Impulse oder Mentoring-Leistungen mit einbringen.

 

Den Social Entrepreneurship-Sektor als Ganzes fördern – Big Society Capital

Die Programme von Tony Elumelu sowie von NFTE sind breit aufgestellt und zielen darauf ab, den Entrepreneurial Spirit insgesamt zu stärken. Sie werben für die 17 Sustainable Development Goals (SDGs); im Vordergrund steht jedoch die eigene unternehmerische Idee und deren erfolgreiche Umsetzung. 

Es gibt jedoch eine Fülle an Geschäftsmodellen, die ganz gezielt eine soziale bzw. gesellschaftliche Herausforderung lösen und oftmals nicht gleichermaßen profitabel arbeiten können wie ein klassisches Unternehmen. Dieser Social Entrepreneurship-Sektor hat ein enormes Potenzial, bleibt aber unterentwickelt, wenn er nicht durch die Politik unterstützt wird. Denn Investmentkapital orientiert sich weitestgehend an der finanziellen und nur bedingt an der „sozialen“ Rendite.

Die britische Regierung hat mit Big Society Capital einen Fonds geschaffen, der diesen neuen, sozialen Wirtschaftssektor gezielt stärkt. Und dies mit geballter Wucht: 1,9 Milliarden Pfund stehen hierfür bereit. 1,251 soziale Unternehmen und Charities wurden von Big Society Capital bislang gefördert. 

Das Ziel ist dabei, nicht nur einzelne Unternehmen zu fördern, sondern das ganze System positiv zu beeinflussen und Raum für hybride Modelle zu schaffen, die das beste beider Welten kombinieren: soziale Probleme lösen und dies über ein sich selbsttragendes Geschäftsmodell. 

Mit dem Projekt Access arbeitet Big Society Capital daran, Wohltätigkeitsorganisationen und soziale Unternehmen in England finanziell belastbarer und eigenständiger zu machen. Mit Good Finance bietet Big Society Capital Wohltätigkeitsorganisationen Trainings und Workshops an, die sie darin stärken, auf Augenhöhe mit sozialen Investoren zusammenzuarbeiten und so eventuell den Impact ihrer Organisation zu vergrößern. Auf der Webseite werden  Webinare, neue Fallstudieninhalte und Videos angeboten. Außerdem bietet sie ein Netzwerk, um Unternehmer mit sozialen Investoren zu verbinden. 

Strategische und langfristige Veränderungen liegen im Fokus von Big Investment Capital. Mit einem strategischen Investment unterstützt Big Society Capital z.B. Wohltätigkeitsorganisationen dabei, Wohnungen zu kaufen, um diese für Obdachlose zur Verfügung zu stellen, was langfristig eine nachhaltigere Art und Weise ist, als Wohnungen zu mieten. Sie entwickelten außerdem in Zusammenarbeit mit zwei sozialen Investmentfonds und einer Impact-Leader-Akademie ein einjähriges Pilotprojekt, in dessen Rahmen 12 Unternehmen Forschungszuschüsse erhielten, um die Wirkung ihrer Produkte und Dienstleistungen zu testen. Diese Unternehmen arbeiten weitgehend mit digitalen Werkzeugen und befassen sich mit Themen wie der perinatalen und kindlichen psychischen Gesundheit, Arbeitsplatzlösungen für das Wohlbefinden der Mitarbeiter und Plattformen zur Unterstützung durch Gleichaltrige rund um das achtsame Trinken und die Selbstverletzungsprävention bei Jugendlichen.

Das Geld für Big Society Capital kommt aus sogenannten schlafenden bzw. nachrichtenlosen Konten, also Bankkonten, deren Inhaber über viele Jahrzehnte nicht herausgefunden werden konnten. Begrüßenswert: Die Idee wird inzwischen auch in Deutschland intensiv diskutiert.