17 Ziele: Wie österreichische Sozialunternehmen Menschen am Rande der Gesellschaft integrieren

© Patrick Sabitzer / SHADES TOURS

Mit ihrer Arbeit helfen diese 7 Sozialunternehmen aus Österreich die Vorurteile, die immer noch viel zu häufig gegen bestimmte Personengruppen wie Obdachlose und Geflüchtete existieren, abzubauen und somit, die soziale Ungleichheit zu verringern.

Noch immer gibt es in Österreich viele Vorurteile und Stigmata gegenüber Personengruppen, wie Geflüchteten oder Obdachlosen. Das kann dazu führen, dass ihnen viele Möglichkeiten verwehrt bleiben und anstelle mitten im Leben zu stehen, manchmal sogar ein Leben am Rande der Gesellschaft führen. Dabei lebten im Jahr 2017 allein in Österreich Schätzungen der UNHCR zufolge etwa 93.000 Menschen mit Fluchthintergrund.  Dazu kommen mehr als 22.000 Menschen, die im Jahr 2018 von Obdach- bzw. Wohnungslosigkeit betroffen waren. Inoffiziell vermutet man eine höhere Dunkelziffer, da insbesondere wohnungslose Menschen – also solche, die für eine gewisse Zeit bei Freund:innen und Familie unterkommen, aber nicht gänzlich ohne Obdach sind – ihre Wohnungslosigkeit aus Scham verheimlichen. Sie alle haben es nicht immer leicht und sind in ihrem Alltag häufig vielen Vorurteilen ausgesetzt. Doch hinter den Zahlen stehen immer einzelne Gesichter, Geschichten und persönliche Schicksale, denen man Gehör schenken sollte. Alles andere wäre schließlich verschenktes Potenzial. Wenn wir ihnen zuhören und uns auf ihre Sichtweise offen einlassen, mag so manch eine:r überrascht sein, welch neue Perspektive sich auftut. Diese 7 Sozialunternehmen aus Österreich haben dies längst erkannt und setzen sich mit ihrer Arbeit jeden Tag dafür ein, die sozialen Ungerechtigkeiten zu bekämpfen. Damit helfen sie aktiv dabei das SDG #10 – Weniger Ungleichheiten zu erreichen. Zusätzlich wirkt sich ihr Engagement aber auch positiv auf andere SDGs wie beispielsweise das SDG #8 – Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum bis hin zum SDG #16 – Frieden, Toleranz und starke Institutionen aus.

 

Shades Tours

Bei den Stadtführungen von “Shades Tours” lernen die Teilnehmer:innen die Städte Wien und Graz aus einer anderen Perspektive kennen. Das Sozialunternehmen hat sich auf Touren zu gesellschaftlich polarisierenden Themen spezialisiert. Gemäß dem Motto “Auf den Spuren der Schattenseiten” werden bewegende Stadtführungen zu den Themen Armut & Obdachlosigkeit, Flucht & Integration sowie Sucht & Drogen organisiert. Das Besondere: Geführt werden die Touren von Personen, die selbst betroffen sind oder waren.

Während der Stadtführungen mit einer Dauer von etwa zwei Stunden geben dabei nicht nur die Guides selber persönliche Einblicke in ihr eigenes Leben, sondern den Teilnehmer:innen wird ebenfalls die Möglichkeit geboten, ihre Fragen zu stellen. Die Touren werden ganzjährig durchgeführt und richten sich sowohl an Einzelpersonen, Gruppen, Schulklassen als auch Unternehmen. Mittlerweile gibt es 17 Tourguides, die seit der Gründung des Unternehmens vor drei Jahren rund 30.000 Menschen einen ganz intimen Einblick in ihre Stadt gegeben haben.

Neben den Stadtführungen hat das Unternehmen auch eine Vielzahl von Corporate Aktivitäten im Angebot. Egal ob gemeinsamer Kocheinsatz in einer sozialen Einrichtung, Firmenexkursion oder Backnachmittag mit (ehemals) Obdachlosen: Die Aktivitäten zielen darauf ab, den Teamzusammenhalt und die sozialpolitische Kompetenz der Teilnehmer:innen zu stärken. Das Sozialunternehmen möchte mit ihren angebotenen Touren und Aktivitäten dabei helfen, etwaige Vorurteile abbauen, ein größeres Bewusstsein und Verständnis für die Situation der Betroffenen schaffen und nicht zuletzt auch einen Beitrag bei der Reintegration der Menschen zurück in die Gesellschaft leisten.

Neunerhaus

Das “Neunerhaus” ist eine dynamische Sozialorganisation mit Sitz in Wien, die obdachlosen und armutsgefährdeten Menschen ein selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben ermöglichen möchte. Seit der Gründung im Jahr 1999 setzt sich die Organisation leidenschaftlich dafür ein, die Obdachlosigkeit in Wien zu beenden und die Menschen vom Rand zurück in die Mitte der Gesellschaft zu führen. Das gelingt durch ein gut aufgestelltes Angebot an bezahlbaren Wohnraum, medizinischer Versorgung und niederschwelligen Beratungsmöglichkeiten. Letzteres wird den betroffenen Menschen in einem Café geboten, dass mehr als ein gemütlicher Treffpunkt ist. Denn neben dem anonymen und kostenlosen Beratungsangebot wird hier auch gesundes Essen mit vornehmlich biologischen Zutaten serviert. Ganz nach dem Motto “Wer kann, gibt etwas mehr” kann hier jede:r auf Spendenbasis beim Mittagstisch essen. So wurde ein wertvoller Begegnungsort zwischen Menschen geschaffen, die anderweitig vielleicht nicht so aufeinander treffen würden und der dabei hilft, die zwischenmenschlichen Barrieren abzubauen.

© Christoph Liebentritt / neunerhaus

Das neunerhaus Gesundheitszentrum in Wien ist seit Jahren eine
Anlaufstelle für armutsbetroffene Menschen ohne Krankenversicherung.

 

New Austrian Coding School

In einer digitalen Welt wie heute, wird es immer wichtiger, sich gewisse technische Fähigkeiten anzueignen. Kein Wunder also, dass Programmierschulen auf der ganzen Welt boomen und regelrecht überrannt werden! Dieses Potenzial wurde mittlerweile erkannt und leider sind die Kurse in diesen “Bootcamps” oftmals sehr teuer. Einen ganz anderen Weg geht dabei die “New Austrian Coding School” (NACS). Sie wollen Programmieren für Alle ermöglichen und vermitteln in ihrem neunmonatigen, kostenlosen Trainingsprogramm wertvolle Fertigkeiten und Kenntnisse im Programmieren und der Softwareentwicklung. Dabei richtet sich ihr Angebot an Menschen, die in oder um Wien leben, derzeit arbeitslos sind und in naher Zukunft als Entwickler:in arbeiten möchten.

Die Idee entstand im Jahr 2016, als das Sozialunternehmen mit “Refugees{Code}” an den Start ging. Hier standen vor allem geflüchtete Menschen im Fokus, die durch das Programmier- und Coding-Training bessere Chancen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt bekommen sollten. Das Ergebnis war überwältigend: Mit einer Erfolgsquote von über 90 Prozent bei den Jobvermittlungen wurde den Gründer:innen klar, dass sie ihre Wirkung ausweiten mussten. So kam es, dass sich “Refugees{Code}” im Jahr 2018 zu NACS umbenannte und ihre Zielgruppe vergrößerte. Seither bildet NACS arbeitslose Menschen zu fähigen Entwickler:innen aus, auf die wiederum ein gut bezahlter Job wartet. Damit löst das Wiener Sozialunternehmen gleich zwei Probleme auf einmal: Zum einen werden Menschen zurück in den Arbeitsmarkt geführt, zum anderen bekommen Unternehmen Fachkräfte, die gerade im IT-Bereich häufig händeringend gesucht werden. Das ehrgeizige Ziel des Wiener Sozialunternehmens ist es, das führende Unternehmen in Österreich für die Vermittlung von Software-Ingenieur:innen zu werden. 

More Than One Perspective

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Wiener Sozialunternehmen “More Than One Perspective” (MTOP). Sie bringen gut ausgebildete Menschen mit Fluchthintergrund und Migrationserfahrung mit passenden Unternehmen in Österreich zusammen. Damit möchte das Startup die vielfältigen Möglichkeiten von Integration im Rahmen einer “Win-Win-Situation” aufzeigen und Perspektiven für eine chancengerechte und diverse Arbeitswelt bei der die Menschlichkeit im Fokus steht, schaffen. Gegründet wurde das Social Business im Jahr 2016 und vermittelt seither Jobs an hochqualifizierte Geflüchtete mit einer Erfolgsquote von 70 Prozent. Diese hohe Quote wird durch das sechsmonatige MTOP Associate Programm möglich gemacht, bei denen die Teilnehmer:innen an unterschiedlichen Workshops, Trainings, Coachings und Mentoring-Angeboten teilnahmen, die sie optimal auf den Einstieg in den österreichischen Arbeitsmarkt vorbereiteten. Dabei können sich die Teilnehmer:innen auch mit vielen Firmen austauschen, ein umfassendes berufliches Netzwerk aufbauen und am Ende genau den Job finden, der zu ihnen und ihren Fertigkeiten passt.

Magdas Hotel

Das es Geflüchtete auf dem Österreichischen Arbeitsmarkt nicht leicht haben, weiß auch das “Magdas Hotel”. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben möglichen Ressentiments gegenüber den Geflüchteten, eventuellen Sprachbarrieren oder dem Umstand, dass der Erhalt eines positiven Aufenthaltbescheids, mit dem man überhaupt erst die Arbeit aufnehmen kann, sehr zeitintensiv ist, kann dazu führen, dass die Integration auf dem Arbeitsmarkt schwieriger ist wie angenommen. Das Magdas möchte mit mit ihrem einzigartigen Konzept dagegen ankämpfen: Das Social Business Hotel beschäftigt Geflüchtete, die die Gäste betreuen – das hilft nicht nur bei der Integration, sondern schafft auch eine ganz besondere Stimmung. Insgesamt arbeiten hier Menschen aus 16 Nationen, die zusammen mehr als 20 Sprachen sprechen. Anstelle den Profit zu maximieren, wollen die Betreiber:innen Menschlichkeit und Offenheit in den Vordergrund stellen und mit dem Magdas Hotel Orte der Begegnung und des Austauschs schaffen, die wiederum Vorurteile und etwaige Ressentiments abbauen.

Habibi & Hawara

Das “Habibi & Hawara” war Wiens erstes Restaurant, das – ganz ähnlich wie das Magdas Hotel – ausschließlich von Geflüchteten geführt wurde. Eröffnet im Jahr 2016, serviert das soziale Restaurant seither schmackhafte österreichisch-orientalische Fusionsküche, die bei den Wiener:innen hoch im Kurs steht. Mittlerweile gibt es über die gesamte Stadt verteilt fünf Standorte, an denen Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund ausgebildet werden und arbeiten. Außerdem werden die Mitarbeiter:innen bei Habibi & Hawara mit dem nötigen Rüstzeug versehen, um die Restaurants als eigenes Social Franchise selbst zu gründen. Mit einem erfolgreich erprobten Konzept und einer starken Marke gibt das Unternehmen den Franchisenehmer:innen somit ein exzellentes, effizientes und nachhaltiges Food- und Designkonzept weiter, dass sie dann selbst führen können. An allen Standorten darf man sich auf orientalische Gastfreundschaft gewürzt mit Wiener Schmäh und heimische Produkte, die mit Zutaten aus allen Gegenden des Nahen Ostens verfeinert wurden, freuen. Dabei verwenden die Restaurants lediglich biologische und regionale Zutaten sowie Mehrweggeschirr und achten darauf, Abfälle möglichst zu vermeiden.

Open Coach

Egal ob Krise in der Familie oder Partnerschaft, bei der Arbeit oder den eigenen Finanzen, gesundheitliche Fragen oder Themen, die die eigene Persönlichkeitsentwicklung betreffen: Jede:r von uns steht irgendwann einmal im Leben vor Herausforderungen. Insbesondere für Menschen, die eh schon mit schwierigen Lebenssituationen kämpfen, ist es daher wichtig, dass sie entsprechend Unterstützung erhalten. Nach dem Ansatz “Coaching für Alle” bietet das Wiener Sozialunternehmen “Open Coach” psychologische Beratung und Coaching für finanziell benachteiligte Personen. Bereits für neun Euro die Stunde können sich Betroffene professionell beraten lassen. Über die Plattform kann man sich sofort verfügbare Termine buchen, die die ehrenamtlich tätigen Coaches auch via Video und Telefon anbieten. Dabei ist das erste Gespräch kostenlos. Auf der Plattform finden sich Coaches für jede Lebenslage, die dabei helfen, neue Möglichkeiten und Perspektiven zu entdecken, die man in der eigenen gefühlten “Sackgasse” vielleicht so übersehen hätte.

Die 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals (SDGs) sind ein Fahrplan für die Zukunft, den die Weltgemeinschaft 2015 beschlossen hat. Sie richten sich an alle: die Regierungen weltweit, aber auch die Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft und die Wissenschaft.

 

 

Ziel 10 – Weniger Ungleichheiten

In ihrer Agenda 2030 hat die Staatengemeinschaft für das SDG #10 – “Weniger Ungleichheiten” folgende Unterziele verankert:

  • Das Einkommens­wachs­tum der ärmsten 40% soll bis 2030 je­weils über dem nationalen Durch­schnitt liegen
  • Alle Menschen sollen – unabhängig von Alter, Geschlecht, sexueller Orien­tie­rung, Be­hinde­rung, Ethnizität, Religion, Her­kunft oder so­zia­lem und wirt­schaftl­ichem Status – gleiche Mög­lich­keiten haben
  • Abschaffung diskriminierender Ge­setze und Po­li­tik­maß­nahmen
  • Ungleichheiten noch wirksamer re­du­zieren
  • Mehr Mitsprache von Ent­wick­lungs­ländern
  • Geordnete, sichere, verantwortungsvolle und reguläre Migration und Mobilität

Dieser Beitrag ist Teil der Gexsi/GOOD Österreich Blogserie und wird gefördert durch die Austrian Development Agency (ADA) aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit.