Skateistan – Hier geht es um viel mehr als nur um ein Brett mit Rollen

© Skateistan

Sport, Bildung und die Stärkung der Rolle von Mädchen, und dies alles an Orten wie Kabul in Afghanistan. Mit Skateistan hat Oliver Percovich eine Nonprofit aufgebaut, die enorm viel bewegt. 

Begonnen hatte das ganze mit einem Trip nach Kabul in 2007, wo Olivers Freundin in der Entwicklungszusammenarbeit arbeitete. Mit im Gepäck, wie immer, einige Skateboards. Oliver ist in Australien geboren, seine Mutter ist Deutsche. In seiner Kindheit hat er zeitweise in Papua-Neuguinea gelebt. Er weiß, was es bedeutet, wenn Kinder keinen (guten) Zugang zu Bildung haben. Die Idee, dass das Skateboard eine friedensstiftende Wirkung haben kann, da es Menschen aus unterschiedlichen Kontexten zusammenbringt, Toleranz und das Miteinander stärkt und vor allem Spaß bringt, schwang schon mit, also Oliver in Kabul die erste Skateboard Initiative gründete. 

Heute ist Skateistan eine preisgekrönte, professionell aufgestellte Non-Profit mit Sitz in Berlin. Ihre Skateboard Schulen in Afghanistan, Kambodscha und Südafrika vermitteln mehr als 3.000 Kindern und Jugendlichen, etwas über die Hälfte Mädchen, wichtige Life Skills und sichert einen Zugang in oder zurück in die Schule. 

© Skateistan

 

Andere so erfolgreiche Social Entrepreneure würden das große Rampenlicht suchen; Oliver nimmt sich sehr zurück, ist selten auf den Fotos zu sehen. Es gehe nicht um ihn, sondern um die Kinder, erklärt uns Sophie Friedel, eine der frühen Wegbegleiterinnen von Skateistan, die heute therapeutische Angebote via Skateboard in Freiburg entwickelt. Skateistan versteht sich auch als ein Gegenpol zu den groß inszenierten Entwicklungshilfeprojekte, von denen es in Ländern wie Afghanistan viele gibt, wo hier und da der Eindruck entstehen mag, dass die Eröffnungszeremonie wichtiger ist als die positive Wirkung für die Menschen vor Ort. Skateistan arbeitet auf der Grassroot Ebene ganz unten und kommt mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt, die oftmals sonst auf der Strecke bleiben. 

Zwei Aspekte, die Sophie uns von ihrer Zeit in Kabul erzählt, öffnen die Augen und zeigen, warum Skateistan bewusst unkonventionelle Wege einschlug.

 

Vielen Kindern war der Zugang zur Schule versperrt

Das Problem mit dem Zugang zu Bildung hatte in Kabul Anfang der 2010er Jahre teils ganz banale Erklärungen. Für die Schulanmeldung muss man einen Pass haben. Die Menschen in der Stadt hatten einen. Viele, die aus dem Land vor den Taliban in die Stadt geflüchtet waren, hatten keinen. Der Weg zurück ins Dorf, um die notwendigen Papiere zu besorgen, zu gefährlich. Viele Kinder lebten auf der Straße, haben Kaugummis verkauft oder Wasser an Polizisten.

 

© Skateistan / Andy Buchanan

 

In dieser Situation definierte Skateistan eines ihrer Prinzipien: “Du darfst Skateboard fahren, wenn du zur Schule gehen”. Die Organisation organisierte Spenden, um eine Schule aufzubauen, in die nun alle Kinder gehen konnten, auch ohne Papiere. Die Nachfrage war enorm. Die Kopplung, dass nur skaten darf, wer auch zur Schule geht, wäre wahrscheinlich gar nicht nötig gewesen.

Dennoch hat sich die Verbindung von Skaten und Bildung als Erfolg erwiesen. Denn über den Sport und die Freizeitgestaltung erreicht Skateistan viele Kinder, mit denen sie sonst nicht in Kontakt kommen würden. Von den Bildungsmöglichkeiten hätten sie sonst nie erfahren.

Warum Skateistan sehr früh schon die erste Skateboardhalle gebaut hat

Eine Halle zum Skateboarden bauen, wo jeder Cent knapp ist? Dies überrascht. Es hat aber einen tieferen Sinn. Dem Team in Kabul war frühzeitig aufgefallen, dass bei den Aktivitäten draußen Mädchen mit zwölf oder dreizehn Jahre kaum noch kamen. Zu groß das die Exposition nach außen, schräge Bemerkungen oder Belästigungen von Dritten. Junge Frauen auf dem Skateboard ist auch heute noch ein zu ungewohnter Anblick für die Menschen in einer Stadt, in der Mädchen am Kiosk erst dann bedient werden, wenn partout kein Mann mehr in Sicht ist.

 

© Skateistan

 

«Mein Leben hat sich wirklich verändert, als ich zu Skateistan kam. Ich begann zu sehen, dass die Leute zu mir aufschauen und dass ich anderen helfen kann, indem ich ein gutes Beispiel gebe.» Shabnam, Studentin der Ingenieurwissenschaften an der Balkh Universität in Afghanistan

Sophie erzählt jedoch enorm positiv von den Begegnungen mit den Familien der Mädchen. Der Rückhalt, dass diese Sport machen und in die Schule gehen, war enorm. Und auch die öffentlichen Stellen lassen es zu, dass Skateistan eigene Bildungseinrichtungen etabliert. Vielleicht auch, weil Skateistan ist ein klassisches Beispiel für eine “Hilfe zur Selbsthilfe” ist. Denn das Team vor Ort besteht schon länger rein aus lokalen Mitarbeiter*innen und Ehrenamtlichen. Das Pflänzchen, das Oliver gesät hat, wächst mit dem lokalen Team engagiert weiter. 

Zurück zur Skateboard-Halle. Eine solche Halle ist, so schiebt Sophie nach, natürlich einfach auch enorm praktisch. In Kabul ist es draußen überall sandig. Und auf Sand fährt es sich einfach nicht gut. Spaß haben und Female Empowerment gehen hier Hand in Hand.

Mehr zu Skateistan und wie ihr die Initiative über GOOD unterstützt erfahrt ihr hier.

 

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Dr. Andreas Renner, Co-Founder GOOD: andreas@good-search.org